Regierungswechsel – aber kein Politikwechsel?

Vor fünf Monaten wurde die rot-grüne Landesregierung gewählt und ist mit dem Anspruch angetreten, alles besser zu machen, als die schwarz-gelbe Vorgägngerregierung. Ein guter Zeitpunkt, eine erste Wertung der begonnenen Arbeit vorzunehmen. Gerade in wichtigen Bereichen, die im Mittelpunkt der politischen Arbeit stehen sollten, hat sich bisher nichts oder wenig bewegt.

Während die Partei Bündnis 90/Grüne zu Beginn der vergangenen 16. Landtagsperiode selbst durch Anträge die innenpolitische Situation, die durch die stark restriktive Politik der CDU/FDP-Regierung mit dem Minister Schünemann schon damals undemokratische Züge tug, versuchte zu entschärfen, ist derzeit die Rot/Grüne Landesregierung in diesem Bereich weitgehend untätig. Im Gegenteil, wie der Ereignisse während der Anti-Nazi-Demonstration am 1.6. in Wolfsburg zeigte, gestattet Rot-Grün mit seinem SPD-Innenminister brutaleres Vorgehen gegen Demonstranten als es jemals zu erwarten gewesen wäre.

Zeugen berichten von anlasslosem Peffersprayeinsatz, sowie vom Kesseln, Bedrängen, Schlagen.  Geschieht so etwas in der Türkei, kommentieren die deutschen Parteien unisono, die demokratische Entwicklung  sei gefährdet. Das EU Parlament hält eine Debatte. Und wenn es in Niedersachsen … und in Frankfurt ….

Das passt nicht zusammen. Das ist unehrliche Politik nach dem Motto: Wenn wir es tun, ist es Recht, wenn es die anderen tun, Unrecht. „Mehr Demokratie wagen“ als SPD-Motto war einmal. Heute handeln SPD-Minister ohne Scham unter dem Leitsatz: „Demokratie mehr abschaffen“.

Jetzt werden diejenigen eines Besseren belehrt, die eines sicheren Politikwechsels wegen, Rot-Grün gewählt haben. Einen Regierungswechsel gab es, einen Politikwechsel in dieser Hinsicht nicht.

Zu Wahlkampfzeiten verlautbarten die Grünen: „Die niedersächsische Abschiebungspraxis ist menschenunwürdig. Sie muss korrigiert und die Abschiebungshaft abgeschafft werden. Bis zu ihrer Abschaffung ist die Abschiebungspraxis durch verschiedene Sofortmaßnahmen zu entschärfen, […]“. Im Bereich Menschenrechte ist spätes Handeln nicht zu verstehen. Wo bleiben die Sofortmaßnahmen?

Wie es zu erwarten war, bleiben Verschlechterung der demokratischen Verhältnisse unter einer SPD-Regierung erhalten.  Zwar klingen die wunderbaren Worte der Willkommenskultur im Koalitionsvertrag hoffnungsvoll. Doch ohne neues Personal von den Entscheidern im Ministerium bis zu den Ausländerbehörden ist eine Veränderung nicht zu erwarten, von Personen, die bis vor Kurzem loyal dem „Scharfen Hund“ gedient haben. Auch, wenn deutsche Beamte egal welchem Befehl immer nachkommen, ist nur schwer vorstellbar, dass diese Personen plötzlich humaner entscheiden.

Allerdings gibt es keine humane Ausweisung, das kann die Landesregierung noch so oft formulieren; im Erlass sind genug Hintertürchen, damit alles bleiben kann, wie es war.  Abschiebung bleibt menschenunwürdig und muss gestoppt werden.

Auch die Nicht-Abberufung des Polizeipräsidenten Kruse, der z.B. allen Atomkraftgegnern linke  Kriminalität unterstellt, beweist, dass diese Landesregierung nicht an einer Kehrtwende in der Demokratiepolitik interessiert ist. Alle Strafanzeigen gegen Polizisten wegen Körperverletzung wurden eingestellt. Offensichtliche Falschaussagen von Einsatzkräften (z.B. Fall Cecile Lecombe) bleiben ohne Folgen. Hier könnte eine neue Landesregierung ein Signal für mehr Demokratie setzen, wenn sie bereit wäre, Grundlagen dafür zu schaffen, dass auch strafrechtlich relevantes Verhalten von einzelnen Polizisten so verfolgbar wäre, wie es gegenüber Demonstranten durchgeführt wird. „Die Staatsmacht darf alles und der Bürger hat das Nachsehen“ ist feudales Poitikverständnis und hat mit moderner Demokratie nichts zu tun. Die allgemeine Kennzeichnungspflicht für Einsatzkräfte jeder Art  und eine unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsstelle wäre da der richtige erste Schritt, zu zeigen, dass eine andere Denkweise Einzug gehalten hat.

Polizeipräsident Robert Kruse hat zwar zwischenzeitlich grobe Zahlenmanipulation als Fehler “auf der Sachbearbeiterebene” eingeräumt, aus dem Innenministerium liegt jedoch trotz Ankündigung noch immer keine öffentliche Stellungnahme zu der Entlassungsaufforderung vor. Völlig uneinsichtig legt stattdessen Kruse nun offensichtlich nach und läßt am 10. Juni über 20 Vorladungen vom “politischen Staatsschutz” Göttingen (Fachkommissariat 4) an zahlreiche Anti-Atom-Aktivist*innen zustellen.

Hintergrund sind die zahlreichen Protestaktionen insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz der hochgiftigen MOX-Brennelemente im Atomkraftwerk Grohnde während der Jahresrevision im Frühjahr 2013, bei denen wiederholt auf eklatante Sicherheitsmängel an dem Kraftwerksgelände hingewiesen wurde.

Es scheint damit wohl schon heute für die im nächsten Jahr 2014 zu vermeldende künftige “Jahresstatistik 2013 zur politisch motivierten Kriminalität” ein erneuter vorgeblicher “Anstieg der politischen Straftaten von links” somit produziert zu werden. Die sofortige Ablösung Robert Kruses ist und bleibt damit überfällig! Dieser Polzeipräsident Kruse gehört abberufen, ohne wenn und aber. Er hat sich mehrfach disqualifiziert. Hier könnte die neue Landesregierung Farbe bekennen und zeigen, dass sie eine andere Politik zu machen im Stande ist.

Um bei Thema „andere Politik“ zu bleiben: Im Streit um die Endlagersuche, hatten die Grünen eine eindeutige Position: Gorleben kann kein Endlager sein. Das verband sie sachlich mit der Linken und den Piraten. Alle Fakten sprachen gegen ein Endlager Gorleben.
Was macht unser neuer Umweltminister? Umfallen!

Bei den Verhandlungen um das Endlagersuchgesetz wird Gorleben wieder mit einbezogen. Das ist nicht nur sachlich riskant. Dass der Bundestag erst bis 2031 entscheiden soll ist eine große Irreführung der Bürger.
Es ist auch ein politisches Signal:

Von dieser Landesregierung ist in Umweltfragen eine Kehrtwende nicht zu erwarten. Die Landesregierung ist offensichtlich nicht in der Lage der „Sacharbeiterebene“ die neue politische Richtung vorzugeben oder will es gar nicht. Enttäuschend und im Hinblick auf die Wahl zum Deutschen Bundestag ein Signal, das die Wähler deutlich wahrnehmen sollten. Es deutet darauf hin, was zu erwarten wären wenn … .

In Punkto Mox-Transporte hat die neue Landesregierung auch bereits gezeigt, welchen Weg sie zu gehen gedenkt. Weniger Öffentlichkeit verhindert Proteste. Der (un)heimliche Transport der Mox-Brennelemente aus Belgien durch Niedersachsen und Hamburg nach Brokdorf zeigt das eindrücklich. Hier wäre eine klare transparente Position der Niedersächsischen Politik notwendig gewesen, wenn das eingehalten werden würde, was vorher wahlwerbewirksam betont wurde.

Das was nötig scheint, die dezentrale Energieversorgung in Bürgerhand zu fördern und die einseitige Subventionierung der Großkonzerne zu  unterbinden erfolgt nicht. Die Befürwortung der Grünen von Großwindkraftanlagen und Megatrassen spricht da eine eindeutige Sprache.
Soziales:

So wie wir in der Vergangenheit die Verschlechterung der sozialen Daseinsvorsorge einer rot-grünen Regierung verdanken, so wurden auch von der neuen Landesregierung keine Impulse gegeben, hier einen Neubeginn zu signalisieren.

Das Engagement der Landesregierung, für einen flächendeckenden Mindestlohn einzutreten ist ein wichtiges Signal, aber 8,50 € als Betrag sind ein Schlag ins Gesicht aller.  Die Mindestlöhne werden im Wettbewerb um den niedrigsten Preis in vielen Bereichen der tatsächliche Lohn sein. Mit diesem Betrag liegt die Landesregierung weit unter dem von der OECD festgestellten Armutsgrenze.

Erst ein Stundensatz von 15 € garantiert nach der heutigen Renten-Systematik einen Anspruch oberhalb der Armutsgrenze.

Daher ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein grundsätzlich anders Modell für die Sozialsysteme eingeführt werden muss, wie einzig wir Piraten es fordern:

Das Existenzgeld für alle! (Richtungsweisende Beschlüsse unter dem Begriff Grundeinkommen, von den Piraten Niedersachsen im Jahre 2010 und von den Piraten auf Bundesebene 2012 und 2013). Das entscheidende ist, dass es hier nicht um ein Hungergeld (Hartz 4, Bürgergeld), das auch noch an Bedingungen und Sanktionen geknüpft wird, geht, sondern um ein Anrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und einer entsprechenden finanziellen Ausstattung. Einhergehen muss eine neue, moderne Betrachtung von Arbeit und Leistung in der Gesellschaft. Arbeit ist dann keine Ware mehr, die auf einem Markt feilgeboten wird. Eine einfache und andere Besteuerung muss damit auch einhergehen. Jede Landesregierung könnte initiativ sein, entsprechende Änderungen auf Bundesebene anzustoßen.

 

Freier Zugang zu Informationen:

Am 10.8.2009 legte die Fraktion der Grünen ein Gesetz zur Informationsfreiheit vor, das von der SPD-Fraktion positiv unterstützt wurde (Landtagsdrucksache 16/1474). Im Innenausschuss (unterstützt vom Rechstausschuss) im November 2009 und 24.11. im Landtag wurde es abgelehnt. (Drucksache 16/1883 und Plenarprotokoll 16-51)

Meinten es 2009 die Parteien Grüne und SPD ernst, könnten sie es unmittelbar mit ihrer Mehrheit jetzt einbringen und umsetzen. Das tun sie aber nicht, sondern überlässt die Initiative der FDP-Fraktion (LT-Drucksache 17/278). Abgesehen davon, dass ein Informationsfreiheitsgesetz nur ein Anfang sein kann und ein Transparenzgesetz, das die Behörden verpflichtet die Informationen kostenfrei bereitzustellen die einzige demokratische Alternative zur jetzigen Situation ist.

 

Zum Themen Bildung und Studiengebühren ….

Bisher eiert die Landesregierung in Bezug auf G8/G9 herum. Lautstarkes Argument „Man könne die Lehrer nicht schon wieder mit einer Änderung belasten“ (im Wahlkampf habe ich das immer von der CDU gehört). Die SPD und Grünenvertreter haben da immer mit einer tendenziellen Rückkehr zu G9 argumentiert. Man wolle einen Fehler, der gemacht wurde nicht bestehen lassen. Nur dort G8, wo es ausdrücklich gewünscht wird.

Die Nichtwiederbesetztung von Lehrerstellen (vor allem an Grunschulen und Gymnasien) stellt eine deutliche Verschlechterung der Situation dar. Das Argument einer vorherigen Überversorgung kann angesichts der immer noch (aus pädagogischer Sicht) zu großen Klassen und der Maßgabe zukünftiger Inklusion in allen Schulen, nicht befriedigen. Hier wäre eine deutliche Stärkung der Lehrerschaft und eine Möglichkeit zu intensiverer und idividuelleren Betreuung von Schülern angebracht gewesen. Das alles kann nicht dadurch aufgewertet werden, dass in Gesamtschulen mehr Lehrerstellen ausgeschrieben werden als durch Pensionierung wegfallen. Das zeigt zwar die deutliche Stützung des Systems IGS, hilft aber auch dort nur über den schlimmsten Mangel hinweg.

Dass das Gesamtschulgesetz bereits im April auf den Weg gebracht wurde ist gut, aber es verbessert die Situation nur gering. Ein Klassenzug weniger bei Gründungsinteresse, ist nur eine halbherzige Vorgabe, die die Sache nicht grundlegend erleichtert.

Angesichts der Bildungssituation wäre es angebracht, die Gesamtschule endlich als Regelschule zu definieren und klarzustellen, dass Gymnasien selbstverständlich dort bleiben wo Eltern entweder ihre Kinder auf die Gymnasien schicken, oder der Elternwille zur Gründung eines Gymnasiums vorhanden ist. Die Sorge der Opposition Standorte von Gymnasien seien gefährdet bedeutet doch, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr auf diese Schulen schicken, weil sie etwas anders für ihre Kinder ermöglichen wollen. Wenn das der Elternwille ist, muss das eben akzeptiert werden.

Die Studiengebühren, die – wie man inzwischen weiß – u.a. zur Rücklagenbildung und ähnlichem an den Hochschulen verwendet wurden, abzuschaffen war die einhellige Aussage der früheren Opposition. Mancherorts schon früh mit dem kleinen Zusatz „unter Finanzierungsvorbehalt“ versehen. Nunmehr verschiebt sich der Termin nach hinten. War das also doch nur Wahlpropaganda? Will man dann vor der nächsten Wahl mit der Streichung zum zwieten Mal mit ein und der selben Sache punkten?

Das hilft denjenigen, die die Studiengebühren mühsam durch Verschuldung  finanzieren müssen oder durch zusätzliche Erwerbsarbeit  – die immer schwerer zu bekommen ist – nicht weiter. Die Forderung nach finanziell barrierefreiem Zugang zum Studium bleibt also aufrecht zu erhalten.

Wenn man Stimmen braucht ist etwas schnell versprochen – aber wenn man es ehrlich meinte, hätte man auch schnell handeln können. Für das, was wichtig oder systemrelevant ist, wird Geld immer vorhanden sein.

Bleibe zum Schluss noch ein Wort zum Hochwasser. Dass Ministerpräsident Weil erst im Schlepptau der Kanzlerin in die betroffenen Gebiete reist, zeigt, dass ein Großstadtbürgermeister durch Wahlen nicht automatisch ein Landesvater wird.

 

 


Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Kommentare geben nur die persönliche Meinung desjenigen wieder, der sie schrieb. Durch die Bereitstellung der Kommentarfunktion machen sich die Betreiber dieser Website die Kommentare nicht zu eigen und müssen daher nicht derselben Meinung sein.

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht öffentlich angezeigt. Verbindlich einzugebende Felder werden mit diesem Zeichen kenntlich gemacht: *