Rede vor dem Göttinger Stadtrat vom 13.3.2015
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Heute kann dieser Stadtrat von Göttingen ein Zeichen setzen und einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von Flüchtlingen einleiten. Alle Organisationen, die Flüchtlingen begleiten, beklagen den Ablauf des Verfahrens und die Ausführungsrichtlinien zu Abschiebungen.
Wir kennen alle das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Sollten Sie einwenden, dass das Grundgesetz nur für Deutsche gilt, so sind die universellen Menschenrechte dem Sinne nach gleich, und diese gelten für alle Menschen überall in der Welt.
Außerdem muss nach § 16a GG
die Rechtsstellung der Flüchtlinge [nach] der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, [und] deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das ernst gemeint. Es war nicht vorgesehen, dass dieses GG durch Gesetze oder Richtlinien in Ihrem Sinn ausgehebelt werden.Das sind menschrechtliche Grundlagen, die uns einen humanistischen Rahmen setzen.
In vielen europäischen Ländern sind menschwürdige Behandlung NICHT gegeben, wie internationale Organisationen, deutsche Verwaltungsgerichte und europäische Gerichte immer wieder entscheiden und Abschiebungen in diese Länder untersagen.
Der Staat – hier die Kommune als ausführendes Organ – muss Verantwortung übernehmen und Menschlichkeit zeigen!
Die Flüchtlinge kommen aus mörderischen Kriegen, an denen der Westen nicht unbeteiligt ist – sie sind von Flucht, Hunger und Elend gezeichnet – sie sind traumatisiert – wir dürfen sie nicht ein weiteres Mal zu Opfern machen.
Der Abschiebeprozess als solcher ist unwürdig einer humanen Demokratie, unmenschlich und erniedrigend angesichts der Erlebnisse dieser Flüchtlinge.
Lassen Sie mich angesichts dessen fragen:
Sind wir noch eine humane Demokratie?
Oder nur eine ökonomische?
Lassen wir nach Deutschland nur herein, wen WIR brauchen – Stichwort Fachkräftemangel – oder helfen wir denjenigen, die UNSERE Hilfe benötigen?
Lassen wir den schönen Worten von Resolutionen auch Taten folgen!
Bodo Ramelow hat es eindeutig formuliert:
„Die Thüringer Landesregierung sieht es als Selbstverständlichkeit an, ihr Handeln an den Maßstäben der Menschlichkeit und Menschenwürde zu messen. “
Haben wir als Rat den Mut Widerstand zu leisten und unser Handeln ebenfalls daran zu orientieren !
Auf meine Anfrage hin teilt die Rechtsabteilung des Oberbürgermeisters mit, dem Runderlass des Landes folgend: … die zuständigen Ausländerbehörden [sind] gem. § 58 AufenthG verpflichtet, die Ausreisepflicht zwangsweise durchzusetzen und die Abschiebung einzuleiten.
Aussagen dieser Art waren auch in der jüngste Vergangenheit Deutschlands die häufigste Entschuldigung für das Befolgen menschenverachtenden Unrechts.
Hier sollten wir einfach anders – nämlich unseren eigenen wohlklingenden Worten entsprechend – menschlich handeln.
Ausgrenzung, Abschottung und Abschiebung haben in Deutschland eine lange Tradition, es braucht Widerstand und Protest um diese Tradition zu brechen.
Es gilt damals wie heute: Alle Menschen sollten das Recht haben dort zu leben, wo auch immer sie wollen.
Hier und Jetzt ist es angebracht dem Satz zu folgen: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
Wie lange wollen wir denn noch warten? Es gibt keine Entschuldigung mehr. Tausende sterben an den Grenzen Europas
Im Oberbügermeisterwahlkampf hat ein Kandidat – anlässlich eines brutalen BFE Einsatzes im Neuen Weg zur Erzwingung einer Abschiebung vor einem Jahr – zugesagt, wenn er OB würde, gäbe es in Göttingen keine Abschiebungen mehr – also gibt es Möglichkeiten – Ich fordere den Oberbürgermeister Herrn Köhler auf, entsprechend zu handeln!
Ich möchte meinen Enkeln erzählen können, dass Göttingen sich für Menschlichkeit und gegen unrechte Gesetze zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt hat.
Die Beweislast muss umgekehrt werden !
Nicht jeder einzelne Flüchtling sollte gegen die Abschiebung klagen müssen, sondern die Stadt klagt gegen die Anweisung der Abschiebung.
Sie fragen jetzt vielleicht: Was soll das bewirken?
Dieser Beschluss bewirkt, nicht willfähriger Vollstecker zu sein, sondern auf der Seite des Flüchtlings zu stehen und gegen die fachaufsichtliche Weisung zu klagen. Unser Vertreter der Ausländerbehörde stellt nicht, wie bisher in den Verfahren alles zusammen, was für die Abschiebung spricht und damit gegen den Flüchtling arbeitet – sondern, wenn die Stadt klagt, ist es die Aufgabe alles juristische Wissen zusammenzustellen und zu nutzen um den Flüchtling nicht abzuschieben.
Das wäre der Paradigmenwechsel, von dem so gerne die Rede ist, wenn die Willkommenskultur besungen wird.
Ich wünsche mir, dass Sie hier und heute Farbe bekennen und den Mut zur Menschlichkeit beweisen.
Antragstext: